KZ-Außenlager "Wiesendorf" 1944/45

Vernichtung durch Arbeit in Wasseralfingen

Von Ende September 1944 bis Anfang Februar 1945 gruben 400 polnische KZ-Häftlinge Produktionsstollen für die Wasseralfinger Rüstungsindustrie. Untergebracht waren sie in dem KZ-Außenlager "Wiesendorf". Weniger als die Hälfte von ihnen überlebte den Zweiten Weltkrieg.

Die Fotografie aus dem Winter 1944/45 zeigt links mittig die Baracken des SHW-Arbeitslagers Wiesendorf. In blau und dahinter ist das eingezäunte KZ-Außenlager mit Wachtürmen zu erkennen. Alfing und die Produktionsstollen befanden sich vor dem schwarz gezeichneten Wald im Tal. (© Stadtarchiv Aalen)

Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs entwickelten sich die Alfingwerke in Wasseralfingen zum unverzichtbaren Bestandteil der deutschen Kriegsrüstung. Das lag nicht zuletzt daran, dass die Firma ab 1935 einen Weg gefunden hatte, Kurbelwellen im Gesenk besonders hochfest zu produzieren. Dies weckte rasch das Interesse der deutschen Luftwaffe, hoffte man doch so die Motoren von Kampfflugzeugen robuster bauen zu können. Die NS-Rüstungsindustrie fütterte Alfing in der Folge mit lukrativen Aufträgen, wodurch das Unternehmen rasch wuchs. Zwischen 1933 und 1945 verzehnfachte sich die Belegschaft.

Gegen den Willen von Alfing

Die Produktionsstollen (blau) schlossen direkt an den Alfing-Luftschutzstollen (orange) an. Die geplanten Produktionsstollen am Braunenberg wurden nie verwirklicht. Das Ruckenlager diente zur Unterbringung von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern der Schwäbischen Hüttenwerke. (Luftbild von 2021) (© Stadtarchiv Aalen)

Um die Produktion der Alfing-Kurbelwellen während Krieges vor Luftangriffen zu schützen, befahl das NS-Wirtschaftsministerium Anfang 1944, einen Teil der Produktion unter die Erde zu verlagern. Die Proteste des Firmengründers Karl Kessler, der im brüchigen und feuchten Gestein negative Folgen für Belegschaft und Maschinen fürchtete, nutzten nichts: Längst hatte der NS-Staat das letzte Wort bei allen Entscheidungen des kriegswichtigen Unternehmens. Die Produktionsstollen (blau) sollten nördlich des Unternehmens und östlich der bereits existierenden Alfing-Luftschutzstollen entstehen (orange). Im April1944 begann das Auffahren der Stollen unter der Bauleitung von Alfing durch belgische Häftlinge u.a. aus dem Gefängnis St. Gilles bei Brüssel. Untergebracht wurden diese zum Teil auch in einer noch nicht genutzten Produktionshalle auf dem Alfinggelände: Der Iran-Halle.

Die Luftbildaufnahme von 1945 zeigt mittig das Wiesendorflager mit dem abgetrennten KZ-Bereich (blau). Im Südosten (ebenfalls blau) ist der Zugang zu den Produktionsstolen zu erahnen. (© Stadtarchiv Aalen)

Im Herbst 1944 übernahm die Organisation Todt (OT), ein paramilitärischer Bautrupp, im Auftrag des NS-Rüstungsministeriums die Bauleitung über das „Nephelin“ genannte Stollenprojekt. Anstelle der Belgier setzte die OT 400 polnische KZ-Häftlinge ein, die nach der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes nach Deutschland verschleppt worden waren.

Für die Unterbringung der 400 KZ-Häftlinge aus Polen baute Alfing Anfang September 1944 im Auftrag des NS-Rüstungsministeriums am heutigen Eck Rosen-/Kolpingstraße vier Baracken, die südlich an das bereits bestehende SHW-Arbeitslager „Wiesendorf“ angrenzten. Die westlichste Baracke war für die Wachmannschaft vorgesehen, die sich aus ehemaligen Luftwaffensoldaten sowie „Volksdeutschen“ aus Osteuropa zusammensetzte. Die drei Baracken für die KZ-Häftlinge waren durch einen doppelten Stacheldrahtzaun und zwei Wachtürmen vom restlichen Lagerkomplex abgetrennt. Alle 400 Häftlinge waren in der mittleren Baracke untergebracht.

Überleben im KZ

Der spätere Historiker Stefan Kieniewicz diente im KZ "Wiesendorf" als Häftlingslagerschreiber. (© Stadtarchiv Aalen)

Am 27. September 1944 kamen die polnischen KZ-Häftlinge in Wasseralfingen an. Über das Lager berichtete der KZ-Lagerschreiber und Häftling Stefan Kieniewicz nach dem Krieg: „Die Wohnbaracke glich einem Stall, aber es wurde darin ein Boden gemacht. Die Baracke war in zwei Hallen für je 200 Gefangene mit jeweils separatem Eingang unterteilt. Die zweistöckigen, klappbaren Holzbetten waren dicht aufgestellt. Jeder der Hallen hatte nur ein Badezimmer mit Waschräumen und eine Toilette.“

Das Überleben im KZ war geprägt durch alltägliche Gewalt, ausgeübt durch die Wachen und Kapos (Funktionshäftlinge): „Der düsterste Typ war ein Kapo namens Heinz Preuss. Preuss schlug auf eine ausgefallene Art und Weise, und man konnte sehen, dass er es genoss.“ Zum Teil endeten die Misshandlungen auch tödlich: „Ein Gefangener hatte sich während der Arbeitszeit außerhalb des Lagers von seinem Kommando gelöst. Unter dem Verdacht, einen Fluchtversuch gemacht zu haben, wurde dieser Gefangene am Tor neben dem Wachtturm misshandelt. Am darauffolgenden Tage verstarb er.“ Vier weitere Häftlinge, deren Flucht aus dem Lager misslang, wurden an der Schillerlinde auf dem Braunenberg erschossen.

Das Sterben im Lager

Der Funktionshäftling und Lagerarzt Dawid Wdowinski war der einzige jüdischestämmige Häftling im KZ "Wiesendorf". (© Stadtarchiv Aalen)

Zur tödlichsten Gefahr für die Häftlinge entwickelten sich aber Kälte und Hunger. Ein KZ-Häftling berichtete: „In der Baracke ist es sehr kalt, wir schlafen zu zweit, an der Decke bilden sich Tropfen aus Dampf. Unsere Schlafdecken sind nass und steif.“ Zudem unterschlug der Quartiermeister Vorräte für die Häftlinge: „Zum Mittagessen gab es irgendeine Suppe, in der nicht einmal eine Kartoffel war, es war nur Wasser mit Gras.“ Der bejammernswerte Zustand der KZ-Häftlinge schockierte auch manchen Wasseralfinger. Die Häftlinge berichteten: „Wenn wir morgens um 5 zur Arbeit an ihren Zäunen vorbeikamen, fanden wir immer an den Pforten etwas für uns zum Essen vorbereitet. Eine Brotschnitte mit Marmelade oder Margarine, ein paar Äpfel.“

Auch die tägliche Arbeit in den Produktionsstollen war brutal. Die Häftlinge berichteten nach dem Krieg: „Sehr schwere Arbeit unter Tage, in Stollen Füße in Holzschuhen stehend im Wasser, Arbeit von 6 bis 17 Uhr. Der Bestand der Gefangenen unterlag einer laufenden Verringerung durch Hungerrationen, das Fehlen warmer Kleider, schwere Arbeitsverhältnisse sowie durch die Schläge der SS-Männer und Kapos.“ Dennoch gingen die Arbeiten nur langsam voran. Im Dezember 1944 waren lediglich vier Stollen soweit fertig, dass 57 Maschinen unter Tage produzieren konnten – nur fünf Prozent des Alfing-Maschinenparks.

Am 13. November 1944 stellte der jüdische Lagerarzt Dawid Wdowinski den Tod des ersten Häftlings fest. Um den Jahreswechsel erkrankten dann immer mehr Polen. In zwei großen Transporten wurden 120 kranke Häftlinge am 16. Januar und 2. Februar 1945 ins „Krankenlager“ Vaihingen transportiert, wo fast alle ohne jeglicher medizinischen Versorgung starben.

Ende des Lagers und Aufarbeitung

Anfang Februar 1945 wurde das KZ-Außenlager Wiesendorf endgültig aufgelöst. Weniger als die Hälfte der Wasseralfinger KZ-Häftlinge sollte das Kriegsende überleben. In Wasseralfingen selbst starben bis zu 50 Polen. 33 von ihnen haben nach dem Krieg ihre letzte Ruhestätte auf dem Wasseralfinger Friedhof gefunden. Das Lager wurde im Herbst 1946 abgebaut und später neuen Wohnhäusern überbaut.

Und die Produktionsstollen? Nach Kriegsende räumte Alfing diese und die amerikanische Militärregierung veranlasste im Herbst 1947 die Teilsprengung der Stollen. Im westlichen Bereich des Geländes entstand eine Kleingartenanlage, die 2015 aufgrund des brüchigen Erdreichs aufgegeben werden musste. 2017 entschied der Gemeinderat, stattdessen hier die erste „Urbane Wildnis“ auf Aalener Stadtgebiet zu entwickeln.

Die Aufarbeitung der KZ-Geschichte in Aalen verlief schleppend. 1960 erschien ein erster Zeitungsbeitrag über den Kochendorfer Todesmarsch in der Aalener Volkszeitung, der die Existenz des Wasseralfinger Lagers erwähnte. Erst Stadtarchivar Karlheinz Bauer begann Anfang der 1980er Jahre die Geschichte des Lagers systematisch aufzuarbeiten. Da viele Archive zu diesem Zeitpunkt noch unzugänglich waren, befragte er für seinen Beitrag im Aalener Jahrbuch (1984) Zeitzeugen in Wasseralfingen zum Lager.

Stolperschwelle und Orte der Erinnerung

Es ist dem bürgerschaftlichen Engagement des Wasseralfinger Bundes für Heimatpflege sowie der örtlichen Stolpersteininitiative zu verdanken, dass ab 2020 weitere und inzwischen verfügbare Quellen zum Lager erforscht wurden. Öffentlich bekannt wurde dadurch, dass die Sterblichkeit der KZ-Häftlinge deutlich höher war als ursprünglich angenommen.

Auf Grundlage dieser neuen Informationen soll am 26. August 2023 durch Künstler Gunter Demnig eine Stolperschwelle am Standort des KZ's (Kolping-/ Ecke Rosenstraße) verlegt werden. Zusätzlich installieren Stadtarchiv und Stadtbezirk bis November 2023 insgesamt fünf Informationsstelen (sogenannte "Orte der Erinnerung") sowie eine Stele des Künstlers Werner Zaiss im Wasseralfinger Stadtbild, um an das Lager und die polnischen Häflinge zu erinnern. Am 20. Oktober 2023 wird darüber hinaus in Wasseralfingen ein Vortragsabend zum Lager und zur Rezeption des Lagers nach 1945 stattfinden.