Zum Tode von Hermann Bausinger

Langjähriger Jury-Vorsitzender Schubart-Literaturpreis wurde 95 Jahre alt

„Wie wird man Zeitzeuge?“ hat sich Professor Hermann Bausinger in seinem letzten Buch „nachkriegsuni“ gefragt, das den Untertitel „Kleine Tübinger Rückblenden“ trägt. Der emeritierte Kulturwissenschaftler gibt gleich die Antwort mit auf den Leseweg. Neben ausgeprägter Achtsamkeit für die Zeitläufte, sensible Einschätzung und vorurteilsfreie Wiedergabe der Fakten bzw. nüchtern-objektive Darstellung sei die wichtigste Voraussetzung für einen Zeitzeugen „ein langes Leben“. Hermann Bausinger war der ideale Vertreter dieser Spezies. Wenige Monate nach seinem 95. Geburtstag hat er sein Schreibzeug für immer aus der Hand gelegt hat. Um ihn trauern neben seinen Angehörigen seine Freunde und Weggefährten, seine Leserinnen und Leser und alle, denen er wichtig gewesen ist.

Leben und Wirken

Bis ins hohe Alter ist der am 17. September 1926 in Aalen geborene Forscher und Literat täglich von Reutlingen nach Tübingen gefahren, um dort in dem von ihm gegründeten Ludwig-Uhland-Institut für empirische Kulturwissenschaft seiner Leidenschaft nachzugehen. In Tübingen hatte er bereits promoviert, sich 1959 habilitiert und als Professor ab 1960 seinen Lehrstuhl für Volkskunde mit dem Umbau auf neue Gleise der Forschung gestellt. Sie hat sich fortan der Alltagskultur, der Erzählforschung, der Landeskunde und der Kultur- und Sozialgeschichte gewidmet. Herausgekommen sind dabei höchst lesbare Bücher wie „Berühmte und Obskure“, „Seelsorger und Leibsorger“ mit Essays u.a. über Hebel, Hauff und Mörike, „Eine schwäbische Literaturgeschichte“ oder sein jüngstes und letztes Werk „nachkriegsuni“.  Vor wenigen Wochen hatte er noch zusammen mit dem Schauspieler Ulrich Tukur an einer Hörbuchfassung seiner bisher unveröffentlichten (und für das Projekt überarbeiteten) Dissertation aus dem Jahr 1952 über die Erzählforschung gearbeitet, die im Frühjahr erscheinen soll, wie SWR2 berichtet hat.

Vordenker

Wie ein Laudator zu seinem Siebzigsten treffend feststellte, hat Hermann Bausinger mit seinen modernen Ideen und fächerübergreifender Methodik die Volkskunde aus ihrem folkloristischen Ghetto herausgeführt und zu einer ‚empirischen Kulturwissenschaft’ gemacht. Mit dieser Art Voranzudenken wurde er auch 1991 zum idealen Vorsitzenden der Jury des Schubart-Literaturpreises, deren Mitglied er bereits seit 1962 war. Durch seine maßgeblichen Impulse hat sich der Preis zu einer hoch dotierten Auszeichnung für qualitätsvolle Literatur und Sachbücher im Geiste Schubarts entwickelt. Ausgewählt hat die Jury unter seinem Vorsitz Henrike Leonhardt, Ralf Giordano, Alice Schwarzer und Robert Gernhardt, um nur einige Namen zu nennen. Professor Bausingers fein geschliffene Laudationes waren regelmäßige Höhepunkte der Schubartpreis-Verleihungen.

Große Ehrenplakette in Silber

Auch nach seinem Ausscheiden aus der Jury 2001 blieb er seiner Geburtsstadt eng verbunden. Mit seinen literarischen Programmen war er ein gern gesehener Gast in Aalen. Leider musste der 2020 geplante Vortragsabend „Heimat“ mit der Landtagspräsidenten Muhterem Aras Corona bedingt mehrmals verschoben werden. Für seine großen Verdienste wurde Professor Hermann Bausinger 2001 die Große Ehrenplakette in Silber als höchste städtische Auszeichnung verliehen. Der damalige Oberbürgermeister Ulrich Pfeifle würdigte in seiner Laudatio das Engagement des „brillanten Formulierungskünstlers“ und dessen aufklärerischen Einsatz für Geschichte und Kultur.

Aalen wird seinem großen Sohn stets ein ehrendes Andenken bewahren.

© Stadt Aalen, 29.11.2021